Tennis in Berlin
Im Niemandsland
Von Tino Scholz
Berlin – Tennis als Spitzensport zehrt in Berlin vom Glanz der alten Zeiten – als Steffi Graf hier noch siegte. Derzeit pflegt der Sport ein Nischendasein. Es fehlen die Wettkämpfe von internationalem Format.
Hans-Jürgen Pohmann breitet die Arme aus. So, als wolle er sagen: Willkommen auf der teuersten Schrotthalde Berlins. Pohmann steht in der Kälte, die ist ihm im verzogenen Gesicht anzusehen. Vielleicht aber blickt er auch deshalb so verknautscht, weil er die „Schrotthalde“, wie er sie selbst nennt, zum ersten Mal seit vier Jahren wieder betreten hat. „Desaströs, frustrierend, fürchterlich“ sind die Worte, die ihm auf Anhieb zum Steffi-Graf-Stadion einfallen. Jenem Tennisplatz auf dem Gelände des LTTC Rot-Weiß im Grunewald, der viele große Turniere erlebt hat, und wo sich nun der Rost über die hellblauen Sitzplätze frisst und der Beton chon lange verwaschen aussieht. Das Moos, immerhin, versteckt sich in den Ecken.
„Im Niemandsland verschwunden“
Das Steffi-Graf-Stadion ist ein vergessener Schatz Berlins. 1996 wurde die 7.000 Zuschauer fassende Arena mit Hilfe von Lottogeldern für 20 Millionen Mark gebaut, doch nun verfällt sie mit jedem Tag mehr. Sie lebt nur noch vom Klang des Vergangenen, von den German Open, die bis 2008 am Hundekehlesee ausgetragen wurden. „Das“, so sagt Pohmann, „gefragteste Frauenturnier in Deutschland.“ Tennisgrößen wie Justin Henin, Serena Williams und Martina Navratilova schlugen dort auf, genauso wie die Namensträgerin des Stadions, die das Kategorie-1-Turnier neunmal gewann.
„Die German Open waren für lange Zeit das gesellschaftliche Ereignis in Berlin“, erinnert sich Pohmann. Doch mit dem Ende des Wettkampfs im Jahr 2009 verabschiedete sich auch die international bedeutende Tenniskultur aus Berlin. „Im Niemandsland verschwunden“, urteilt er heute.
Der 64-Jährige ist ein Kind des LTTC Rot-Weiß. Unzählige Partien hat er im Grunewald selbst bestritten, er war der Dreißigste der Weltrangliste und stieg auf bis zum Davis-Cup-Spieler. 1973 erreichte er mit seinem Doppel-Partner Jürgen Faßbender das Halbfinale der French Open, zwei Jahre später das von Wimbledon. Heute ist Pohmann Sportchef des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB), doch in seinen Verein geht er nur noch selten. Und dann auch nur zum Essen mit Geschäftspartnern, wie er sagt, nicht mehr um zu spielen. Einerseits liegt das an einer Operation, die seine sportliche Aktivität einschränkte, andererseits hat er sich mit einigen Funktionären im Zuge des Stadionneubaus 1996 verkracht.
Vonseiten der Tennis-Frauenvereinigung WTA gab es damals die Forderung, man müsse, um die German Open zu behalten, die Stadionkapazität von 4 500 auf 7 000 Sitze erweitern. Pohmann hingegen sagt: „Damals hatten wir mit Zusatztribünen auch schon die erforderliche Anzahl. Der Bau war Berliner Größenwahn – und ich der Gegner Nummer eins im Verein.“
Zehren vom alten Glanz
Mittlerweile sitzt er im modernen Clubhaus, rechts von ihm ruht der Centre-Court. Pohmann seufzt: „Traurig, was hier passiert ist.“ Das darbende Stadion symbolisiert auch den Stellenwert des Tennis-Sports in Berlin, der lediglich von seinem alten Glanz zehrt.
Nicht nur Rot-Weiß, die gesamte Stadt hat eine große Tennis-Vergangenheit. Vereine wie der TC Blau-Weiß, Grunewald TC, oder die Zehlendorfer Wespen stillten seit jeher den gesellschaftlichen Durst nach diesem Sport. Besonders in den 70er Jahren, als es einen Tennis-Boom gab und die Plätze überquollen. Damals gab es sogar eine Aufnahmesperre in den Vereinen.
Als internationales Aushängeschild aber fungierte stets Rot-Weiß. War der Klub vor und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem als Zentrum des deutschen Männertennis bekannt, änderte sich dies 1979, als der nationale Tennis-Bund die Internationalen Deutschen Meisterschaften der Frauen, die German Open von Hamburg nach Berlin delegierte. Ein Glücksfall für Rot-Weiß, profitierte der Verein doch in der Folge von einer ungeahnten Euphorie rund um das Frauentennis. Hervorgerufen durch eine junge Frau namens Stefanie Graf, die ihren Sport von Ende der 80er- bis Mitte der 90er Jahre dominierte. „Steffi identifizierte sich wie keine zweite mit dem Turnier in Berlin“, sagt Pohmann: „Sie war unsere ungekrönte Königin.“
Doch mit Grafs Rücktritt 1999 wurde auch das Interesse an den German Open geringer. Obwohl weiterhin internationale Topspielerinnen aufschlugen, fehlte nun das deutsche Zugpferd. Ab 2003 stagnierten die Zuschauerzahlen, die Fernsehanstalten zogen sich zurück, 2004 folgten der Titelsponsor und der Vermarkter IMG. Weil das Turnier nun rote Zahlen schrieb, stand es vor dem Aus. Die Übernahme durch Katars Tennis-Verband ließ die German Open zwar kurz weiterleben, doch 2009 war schließlich alles vorbei.
Es fehlen die internationalen Wettkämpfe
Seitdem steht das Stadion die meiste Zeit einfach nur nutzlos herum. Die Unterhaltskosten liegen im hohen fünfstelligen Bereich, führte man eine notwendige Grundrenovierung durch, kostete das den Verein schätzungsweise einen mittleren sechsstelligen Betrag. Immer noch günstiger als ein kompletter Neubau, denn schon ein Abriss des jetzigen Stadions würde rund zwei Millionen Euro verschlingen. Geld, das der LTTC Rot-Weiß nicht hat. Schon vor einigen Jahren mussten Plätze veräußert werden, auf denen nun Wohnanlagen stehen.
All das beweist: Berlin ist kein Faktor mehr auf der großen internationalen Bühne. Das aktuelle Highlight ist ein internationales Jugendturnier, die Frauen der beiden größten Vereine, Rot-Weiß und Blau-Weiß, spielen in der zweiten Bundesliga. Um Tennis-Euphorie zu schüren, bräuchte es wieder einen Wettkampf von Weltformat. Gedankenspiele darüber gibt es auch, verrät Pohmann, und zwar angeregt vom alten Vermarkter IMG. „Wir haben mit Sabine Lisicki, Andrea Petkovic, Julia Görges und Angelique Kerber sehr gute deutsche Spielerinnen“, sagt er: „Die muss man vermarkten, dann könnte das was werden.“
Ob es soweit kommt, hängt aber von vielen Komponenten ab: dem Willen des Vermarkters, des Fernsehens, der Sponsoren. Und: von einem funktionsfähigen Stadion. Ginge man diese Aufgaben sofort an, könne vielleicht schon im Frühsommer 2014 die Neuauflage eines internationalen Frauen-Wettkampfs stattfinden, glaubt Pohmann. Eine Vorstellung, die angesichts der rostigen Realität fast schon verwegen anmutet.