16.07.2010
"Maria Sharapovas Auftreten imponiert mir"
Wien – Florida, 30 Grad im Schatten, eine erfrischende Brise wird von den Wellen ans Festland getragen.
Viele Amerikaner wollen im "Sunshine State" einfach nur ihren wohlverdienten Ruhestand genießen.
Eine erst 15-jährige Niederösterreicherin schwitzt hingegen zwischen den Palmen, um sich ihren ganz großen Traum erfüllen zu können: Nummer eins der Tenniswelt zu sein!
Umzug im Jänner
Bereits im Jänner hat Christine Kandler, die Tochter des ehemaligen Davis-Cup-Spielers Hans-Peter Kandler, den Sprung über den großen Teich gewagt.
In der ITA Academy in Delray Beach will sich Tina in den nächsten Jahren den nötigen Schliff für die WTA-Tour holen.
Leicht war der Wechsel in „das Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ freilich nicht, wie sich Mutter Susanne im Gespräch mit LAOLA1 zurückerinnert.
"Die erste Zeit war schlimm"
„Die erste Zeit war für mich ganz schlimm. Gott sei Dank gibt es die Möglichkeit über Skype zu kommunizieren. Wenn es ihr nicht so gut geht, kann man so die Krisensituation beruhigen. Trotzdem war es zu Beginn schon ziemlich heftig für die ganze Familie.“
Die Umstellung war allerdings notwendig. Vor den USA trainierte Tina beim NÖTV unter Wolfgang Thiem (Vater von ÖTV-Talent Dominic). Zudem arbeitete sie auch mit Österreichs Trainer-Größe Günter Bresnik zusammen.
„Das war zwar sehr erfolgreich, wir wollten aber ein bisschen mehr Betreuung haben. Wolfgang Thiem sollte auch zu den Turnieren mitfahren. Da er aber fix in der Südstadt arbeitet, hat das nicht funktioniert.“
Coach arbeitete mit Hingis und Petrova
Durch Teilnahmen an der Orange Bowl in Florida knüpfte die Familie schon früh gute Kontakte mit Amerika. „Dadurch habe ich auch Mark Gellard kennen gelernt“, berichtet Mutter Susanne über das erste Treffen mit Tinas Touring-Coach.
Der Lebenslauf des Briten kann sich sehen lassen: Gellard arbeitete bereits unter anderem mit Martina Hingis, Nadia Petrova oder Bethanie Mattek-Sands zusammen.
„Zudem wurde er öfters von vielen guten Spielerinnen für zwei, drei Monate als Hitting Partner gebucht - zum Beispiel als Begleitung für die US Open.“
„Mark hat eine junge Spielerin gesucht und war sehr an Tina interessiert. So sind wir zusammengekommen. Er hat irrsinnig viel Erfahrung und kennt international viele Leute.“
Konditionstrainer von Azarenka und Sharapova
Zusätzlich steht Tina Konditionstrainer Mark Wellington zur Verfügung, der vorher jahrelang mit der weißrussischen Überfliegerin Victoria Azarenka und auch Maria Sharapova zusammenarbeitete.
Das Ausnahme-Talent fühlt sich angesichts dieses Umfelds pudelwohl in Delray Beach: „Ich habe dort ein super Team. Die Trainer haben schon mit anderen Top-Spielerinnen zusammengearbeitet und wissen, was ich brauche. Mir gefällt es extrem gut. Der große Vorteil ist, dass man immer draußen trainieren kann, weil es immer schön ist", strahlt Tina.
Diese Vorteile nützen auch viele andere: „Es spielen dort viele amerikanische Mädchen. Im Winter kommen auch eine Williams, Azarenka oder Kuznetsova zum Training. Da ergibt sich dann auch die eine oder andere Trainingssession“, freut sich das aufgeweckte Mädchen schon auf das nächste Treffen mit den Superstars.
Großes Vorbild: Maria Sharapova
Von den aktuellen Top-Spielerinnen gefällt ihr besonders Maria Sharapova. „Ihr Auftreten imponiert mir. Sie hat eine sehr gute Ausstrahlung. Leider habe ich sie noch nicht persönlich kennen lernen dürfen.“
Auch von Rafael Nadal, Hermann Maier und Thomas Vanek schaut sich Tina gerne einmal ein paar Sachen ab. Als größtes Vorbild gibt sie allerdings ihren Vater an.
Erster Tennisschläger zum dritten Geburtstag
Bereits zu ihrem dritten Geburtstag bekam die kleine Tina ihren ersten Tennisschläger geschenkt. „Die Idee, Tennisprofi zu werden, kam aber von mir. Ich habe mit acht, neun Jahren begonnen, Turniere zu spielen. Das hat mir extrem viel Spaß gemacht.“
In ihren Anfangsjahren eignete sich Tina auch einen etwas ungewöhnlichen Spielstil an: Wie früher Monica Seles spielt sie sowohl Vor- als auch Rückhand beidhändig.
Mögliche Reichweitenprobleme macht Tina mit ihrer Beinarbeit wett. „Das kann man ziemlich gut ausgleichen. Wenn die Bälle zu weit entfernt sind, kann ich auch mit einer Hand spielen.“
„Eine Umstellung ist für mich jedenfalls kein Thema. Ich schau mir auch öfters Videos von Seles an, um zu sehen, wie sie retourniert oder wie sie von der Grundlinie agiert.“
"Mark Gellard stellt hohe Anforderungen"
Geht es um Tinas Stärken sind sich Mutter und Tochter einig: Ihr großer Kampfgeist! „Bei meinem Aufschlag und bei meinem Volley muss man noch den Hebel ansetzen“, gibt sich der Teenager selbstkritisch.
Das muss Tina laut Mama Susanne aber auch so sein. „Mark Gellard stellt hohe Anforderungen. Die Disziplin, die dort verlangt wird, ist wirklich enorm. Daran muss sich Tina erst gewöhnen. Die großen Erfolge werden wohl deshalb erst Ende dieses Jahres kommen, wenn sie die Umstellung hinter sich gebracht hat.“
Derzeit wohnt Tina, die in Mödling die Europa-Mittelschule abgeschlossen und ihre Schulpflicht damit erledigt hat, wieder zu Hause im Elternhaus. Ab August wird sie die Zeit bis zum Frühjahr des nächsten Jahres in Delray Beach verbringen.
Kostspielige Finanzierung
„Dadurch wird sie auch ein gewisses Maß an Selbständigkeit lernen. Sie wohnt bei ihrem Coach und hat dort ein eigenes Zimmer. Er hat sie wirklich 24 Stunden unter Kontrolle und gibt ihr 24 Stunden Gas“, weiß Susanne Kandler ihre Tochter in guten Händen.
Die gute Betreuung muss allerdings auch erst einmal bezahlt werden. Genaue Zahlen will die Familie zwar keine nennen, im Normalfall muss man für derartige Ausbildungen Summen im höheren fünfstelligen Bereich investieren.
Finanziert wurde Tinas Traum von der großen Tenniswelt bislang in erster Linie privat von der Großfamilie und vom Unternehmer Franz Jauk. „Der NÖTV hat uns schon immer unterstützt, vom ÖTV haben wir bislang aber noch nie etwas bekommen.“
Das soll sich in Zukunft dank der von Sportdirektor Gilbert Schaller neu eingeführten externen Förderungen ändern. „Mein Mann steht mit dem ÖTV in Verhandlungen. Ich hoffe, dass man diesen paar jungen Spielern eine ordentliche Förderung gibt.“
WTA-Tour statt Junioren-Turniere
Ob mit oder ohne Unterstützung des Verbands: Familie Kandler hat Tinas Weg schon gut geplant. Im Gegensatz zu vielen Alterskolleginnen spielt Tina anstelle von Jugend-Turnieren schon vermehrt auf der großen Damen-Tour.
Anfang Juni schaffte sie es im portugiesischen Cantanhede in ihr erstes Endspiel bei einem 10.000-Dollar-Future. Mittlerweile ist Tina schon die Nummer 638 der Tenniswelt – nicht schlecht für einen 15-jährigen Teenager!
Bis zu den Australian Open will sie es noch unter die Top 500 schaffen. Damit wäre ihr ein Antreten im Junioren-Bewerb garantiert. Aufgrund fehlender Ergebnisse auf der ITF-Junioren-Tour blieb ihr dies bislang verwehrt.
"Ziel ist es, Nummer 1 der Welt zu werden"
„Man muss sich immer das große Ziel vor Augen halten. Mein langfristiges Ziel ist es, Nummer 1 der Welt zu werden“, träumt Tina vom großen Wurf. „In den nächsten Jahren will ich mich einmal auf der WTA-Tour etablieren.“
Dazu hat sie schon in wenigen Tagen die nächste Gelegenheit: Bei dem am Samstag beginnenden WTA-Turnier in Bad Gastein (220.000 Dollar) darf sich Tina dank einer Wild Card in der Qualifikation probieren.
„Ich freue mich schon irrsinnig. Es macht mir einfach immer viel Spaß in Österreich zu spielen.“ Heimische Tennis-Fans sollten die Gelegenheit nützen, um sich selbst ein Bild von Tina Kandler zu machen.
Selbst wenn es am Ende mit der Nummer eins nicht klappen sollte, stehen die Chancen gut, dass uns die junge Dame in den nächsten Jahren noch viel Freude bereiten wird.
Christian Frühwald