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Welt am Sonntag
Autor: Christian Görtzen| 08.01.2012
Mit Talent und Willen nach oben
Der 16 Jahre alten Hamburger Tennisspielerin Carina Witthöft trauen Experten in den kommenden Jahren den Sprung in die Weltklasse zu
Mit den Damen am Start gäbe es keine Sorgen mehr. Mit ihnen wäre das Tennis-Turnier am Rothenbaum vermutlich auf Jahre hinaus in seiner Existenz gesichert. Anders als bei den schwächelnden Herren stellt sich in der nationalen Damen-Konkurrenz die Lage so gut dar wie nie zuvor seit dem Karriereende von Steffi Graf im August 1999. Andrea Petkovic (Darmstadt), Sabine Lisicki (Berlin) Julia Görges (Bad Oldesloe) und Angelique Kerber (Kiel) haben sich allesamt in der erweiterten Weltspitze etabliert.
Und dann ist da noch eine überaus ehrgeizige Lokalmatadorin, der ein solcher Werdegang innerhalb der nächsten vier, fünf Jahre ebenfalls zuzutrauen ist. Die erst 16 Jahre alte Hamburgerin Carina Witthöft ist in der Tennis-Weltrangliste auf dem Vormarsch. Mehr noch: Die gebürtige Wentorferin ist ihrem eigenen Zeitplan voraus. Im vergangenen Sommer hat Carina Witthöft, die es 2009 im Alter von nur 14 Jahren zur jüngsten Hamburger Damenmeisterin aller Zeiten gebracht hatte, in der Weltrangliste eine Position im 600er-Bereich eingenommen. Die blonde Gymnasiastin formulierte schon damals selbstbewusst ihre Ziele. Innerhalb der nächsten Wochen, so lautete die Vorgabe, solle vor ihrer Weltranglistenposition als erste Ziffer eine Fünf erscheinen. Und zum Ende des Jahres möge es bitte die Vier sein. Beides gelang - spielerisch. Im August kletterte sie auf die Position 599, und das nächste Ziel hätte sie beinahe übererfüllt. In der abschließenden WTA-Weltrangliste des Jahres 2011 nahm Carina Witthöft mit 96 Punkten die Position 413 ein.
"Dass am Endes des Jahres vor meiner Platzierung fast eine Drei gestanden hätte, das ist schon überraschend. Und ja, es ist etwas schade, dass das nicht geklappt hat", sagt Carina Witthöft, die eine hoffnungsvolle Vertreterin der nächsten Generation ist - der Garde, die nach Petkovic, Görges, Lisicki und Kerber kommt. "Ja, ich sehe mich selbst auf jeden Fall in der zweiten Welle. Es stehen zwar in der Weltrangliste noch recht viele vor mir, aber etliche davon sind auch schon älter." Gemeint ist die Position um die 100, auf der viele Spielerinnen schon Mitte 20 sind. "Ich glaube nicht, dass die noch eine solche Entwicklung nach vorn vollziehen werden", sagt Witthöft. "Der Titel der Hamburger Meisterin ist schön, aber für mich zählt nur noch die Weltrangliste", sagt die Hamburgerin. Sie deutet an, wohin es in den nächsten zwei, drei Jahren gehen soll: in die Nähe der Position 100.
Vermutlich wäre sie diesem Ziel zum Ende des Jahres 2011 noch ein gutes Stück näher gekommen, wenn ihr Körper, der sich noch im Wachstum befindet, nicht um eine Pause gebeten hätte. Der Start beim Turnier in Ankara wurde gestrichen - eine Knieverletzung verhinderte einen möglichen Sprung in den 300er-Bereich der Weltrangliste. Bei den deutschen Hallmeisterschaften in Biberach in der zweiten Dezemberwoche litt die junge Hamburgerin, die für den Club an der Alster spielt und schon mehrfach als das größte deutsche Tennistalent bezeichnet wurde, vom Achtelfinale an erneut unter einer Reizung der Patellasehne. Die Verletzung hatte ihr auch schon im Frühjahr zu schaffen gemacht. In Biberach reichte es zumindest noch zum Einzug ins Halbfinale. "Ich konnte dort am Ende fast gar nicht mehr auftreten. Da denkt man dann nur: Hoffentlich hält das Knie", sagt sie. Als Folge ließ sie es zum Ende eines Jahres, das ein sehr erfolgreiches gewesen war, ein wenig ruhiger angehen.
Ansonsten hat Carina Witthöft, die seit zweieinhalb Jahren die Eliteschule des Sports am Alten Teichweg besucht, einen strammen Tagesablauf. "Um 6.20 Uhr stehe ich auf, dann folgt von 7.45 Uhr bis 9.15 Uhr das erste Training. Danach geht es zur Schule, das geht bis 16 Uhr. Von 16.30 Uhr bis 18.30 Uhr folgt das zweite Training des Tages. Gegen 19.30 Uhr bin ich zu Hause. Nach dem Abendessen mache ich etwas für die Schule. Und ich gehe dann zumeist etwas später zu Bett. Gegen Ende der Woche bin ich dann öfters fertig. Aber am Sonntag habe ich frei", sagt Witthöft, die vom Ukrainer Wladimir Lys trainiert wird. Seit Anfang März ist der frühere Daviscup-Spieler bei der Tennisakademie Witthöft engagiert. Carinas Eltern, Kai und Gabriele Witthöft, betreiben in der Hansestadt zwei Tennisanlagen. Von ihren Eltern wird Carina Witthöft auch abwechselnd zu den Turnieren begleitet.
Bei der beeindruckendsten Reise des vergangenen Jahres war ihr Vater dabei. Vom 6. bis 20. Februar durfte sie auf Einladung des Vermarktungsunternehmens IMG in Bradenton im US-Bundesstaat Florida an der weltberühmten Nick Bollettieri Academy vorspielen - dort, wo auch schon Andre Agassi und Monica Seles zu Weltstars geformt wurden. Der Kontakt zur IMG war über Carinas Ausrüster Nike zustande gekommen. Der amerikanische Sportartikelkonzern unterstützt sie seit ihrem elften Lebensjahr.
"Es war aufregend, dorthin zu gehen. Ich kannte Nick Bollettieri natürlich vom Namen. Und ich muss zugeben, dass ich unglaublich viel Respekt hatte. Es war auch eine Angst vor dem Scheitern dabei", räumt Carina Witthöft rückblickend ein. Es lief aber alles bestens. "Nick Bollettieri war richtig nett. Er hat viel gelobt und war auch recht begeistert von mir", erzählt sie. Gleichwohl sei die Umstellung auf die Trainingsumfänge zum Beginn eine Herausforderung gewesen. "Es ist dort eine ganz andere Intensität. Da es in meinen Ferien stattfand, gab es dort nur Tennis. Ich war am Ende eines Tages meistens richtig platt", sagt sie.
In der Academy sei viel an ihrem Spiel gefeilt worden. "Nick Bollettieri achtete sehr auf die Technik. Es wurde viel in Sachen Beinarbeit gemacht", sagt Witthöft, die zu ihren Stärken das Rückhandspiel zählt. Bollettieri und sein Trainerteam bescheinigten ihr das Potenzial dazu, unter die Top 30 der Welt vorzustoßen. Komplimente hat die Hamburgerin auch von Fed-Cup-Chefin Barbara Rittner erhalten. "Carina ist eines der größten Talente seit Jahren und hat ein sehr gutes Umfeld. Ich traue ihr einiges zu in den nächsten Jahren", sagte Rittner Mitte Dezember im Rahmen eines Besuchs der Zentrale des Deutschen Tennis Bundes (DTB) am Hamburger Rothenbaum.
Für das Jahr 2012 hat Carina Witthöft das nächste Zwischenziel auf dem Weg nach oben in der Weltrangliste bereits ausgegeben. "Ich würde gerne bei den US Open im September in die Qualifikation kommen. Dann müsste ich in der Rangliste so um Platz 250 stehen. Gelingt mir das nicht, will ich das zum Jahresende schaffen", sagt sie. An Zielen mangelt es der schlagkräftigen Hamburgerin nicht - und gewiss auch nicht am nötigen Ehrgeiz, diese zu erreichen.